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michael herrschel:
emanation
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nagelbilder
Im Rückenmark sitzt noch
diese grausame Angst
Wir vermuten: aus den
Kindertagen der Welt
Wenn plötzlich ein
Geräusch von irgendwo
Und man weiß nicht
was das bedeutet
Peitschendes Gift
schießt in die Adern
Alle Muskeln gespannt
Weg nichts wie weg
Fluchend hechelnd
wollten wir alles
verbannen was uns
bedroht und jagt
Heimlich machten wir
Skizzen auf Wände
Nachts griffen wir
hinauf ins Firmament
In die leere nackte Höhle
nagelten wir mit harten
blinkenden Stiften wilde
Tiere mit Haut und Haar
Besiegt wachten sie über
dem vergänglichen Wir
Wir: ist eine Vermutung
Kaum Erinnerung
Blick jetzt hoch
Die Tiere sind
nicht mehr da
Ihr Fell ist weg
Nur die Nägel
flimmern als
bleibender Umriss
von Ungeheuern
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verstecken
Such nach mir
drei Keller tief
in der Enge
Ich wollte nicht
so unvorbereitet
ohne Vorkehrungen
Aber von droben
rollt und wälzt sich
Sirenengeheul
Flammenhitze
Boden und Wände
dröhnen: ich weiß
dass Häuser über mir
zusammen brechen
Ich taste fieberhaft
nach etwas: muss es
an mich nehmen
An einen Platz legen
wo es bleiben kann
bis alles vorbei ist
Ich warte hier
zwinge den Puls
in einen Rhythmus
Der zerflattert
Wäre ich doch droben
bei den Sorglosen
Kriechend zwischen
den Feuergarben den
Segnungen des Himmels
Da lernst du das Lachen
Schrei wenn du springst
Zwei Fußbreit sind es nur
zwischen sicherem Tod
und zufälligem Dunkel
das rasch erhellt wird
Trefft mich nicht
mich nicht ihr
vernichtenden
Freundlichkeiten
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komposition
Da lugt ein Finger
oben aus dem Hals
Der kommt aus einem
Bein das hat keinen Fuß
Sondern wächst aus einem
viel gewinkelten Arm
Ellenbögen falten
sich aus der Erde
Das Wesen drüber
wird immer höher
Schwankt im Wind
Mag sich nicht halten
Geknickt niedergestreckt
sehen wir es verhungern
Es hat keinen Mund: Wir
dachten es braucht keinen
Göttlich sollte es sein
Es ist uns misslungen
Also nochmal von vorn
Jetzt etwas Robusteres
Mit Flügeln die es
tragen in der Luft
Mit Silberschuppen
gegen das Wasser
Mit scharfen Klauen
und festen Zähnen
Glänzenden Augen die
wachsen wie Weintrauben
Eins nach dem andern
scharf und wach
Aber es werden
immer mehr Augen
Mehr Zähne Klauen
und Flügel: Hilfe
Es ist uns misslungen
Es rückt uns zu Leibe
Wir haben es gezüchtet
aus purem Vergnügen
und werden es
nicht mehr los
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mündung
Verbranntes Fell gerettet
Geflitzt ans Mauerende
Über die Kante hinaus gelugt
Gesprungen ins Leere
Von hinten wälzt sich
ein Gebrüll heran
Ununterbrochenes
Lautsprecher-Röcheln
das Ausrottung fordert
Es zerfetzt mein Gehör
Ich falle durch
stumme Finsternis
Fühle nichts als
die Angst vor
dem Aufprall
Den Sekunden
einer namenlos
heftigen Quälung
Ah: Das brandet
durch alles durch
Ich rolle ich woge
Ich: ohne zu zerschmettern
Just im Schrecken
federnd und wendig
Und hier: endlich nichts
Keine Parole mehr
Oder halt: Verflucht
Vor meiner Nase
etwas Hartes eine
Schnauze aus Metall
Wenn sie spuckt
zerspritzt mein Kopf
Ich winsle
Drück nicht ab bitte
Ich zittre schwitze
Schäme mich so
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schrift in den zellen
Das Fleisch
merkt sich so viel
was eingeprägt
lange vor uns
und schlummernd
weiter getragen
von einem Leben
hinüber ins nächste
unsere Schritte und
Gedanken lenkt
mit versiegelten
Anordnungen
die wir nie
überprüfen
bis etwas zum
Vorschein kommt
aus dem Verborgenen
uns dreist entgegentritt
uns mit geerbten
Bildern überfällt
die wir fortschleudern
die sich festklammern
sich mit ungeahnter Kraft
in unsere Sinne beißen
Was bloß lagert da
unentdeckt in uns
Hastig durchblättern
wir Inventarlisten
zünden Licht an
um zu entziffern
flüchtig zu ahnen
aus welchen Zeichen
wir geschrieben sind oder
uns selbst schreiben
im Stoff des Lebens
verflochten mit allem
was sich rührt und regt in
wechselnden Ordnungen
die immer von neuem
sich formieren und
immer neu zerfallen im
Augenblick des Todes
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ohne anker
War ich Baum
Wolke Felsen
Tau im Gras
Getreide im
Mahlstein
Raubtier und
jagender Pfeil
Alles das und doch
nicht Ich nicht ganz
nur in feinsten Teilen
ungezählten Punkten
die sich bewegten
sehr sachte von einem
Etwas in ein anderes
und hierher gerieten
sich versammelten
in dieser Gestalt
die in keinem
Augenblick
identisch ist
Vorgeschichten
waren so viele
schwebend oder
ruhend fließend
und versickernd
Hauch in der Luft
Festgefügte Form
Zarte Spur in
einem Blatt in
einem Käferbein
Alles auseinander
Alles neu gefunden
Die halbe Welt
in einem kleinen
brüchigen Fingernagel
oder in diesem Paar
sprechender Lippen
das gestern anders
war und so wenig
von morgen weiß
nur die Umwälzung
der Ozeane ahnt
auf denen das Ich
tanzt ohne irgend
einen Halt zu finden
im Abgrund der
unendlichen Tiefe
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fliehender staub
Lange nach dem
Erwachen sahen
wir vor uns einen
sterbenden Stein
im Abendlicht
eine Statue aus
Quarzsand: wie
sie kleiner wurde
der Wind an ihr
nagte und sie
davon trug leise
Korn um Korn
Horch: dieses
Geräusch so
fein so singend
hell und klar
Es zehrt die
gespannten
gemeißelten
Muskeln auf
Es nimmt den
Zorn aus dem
Gesicht lässt
es mild werden
durchscheinend
wie die gläserne
Haut jener Uhren
die im Körnerfall
das Verrinnen
der Zeit messen
bis ihre Kolben
zerspringen und
zersplittern zu
Scherben sich
zerreiben zu
losem Staub
der aufblitzt in
bunten Prismen
und erfasst von
fremder Strömung
weit entfernten
Formen die es
noch nicht gibt
entgegen treibt
copyright by michael herrschel (gema-nr. 704152)
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